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Per Töffli in die Freiheit

Mona Vetsch nimmt kein Blatt vor den Mund. Auch wenn es um den ÖV geht.

Hat den ÖV erst spät für sich entdeckt: Mona Vetsch.

Hattenhausen zählt knapp 70 Einwohnerinnen und Einwohner. Der Ort liegt in der Gemeinde Wäldi – eingebettet zwischen Conny-Land und Napoleonturm. Das Postauto hält zweimal pro Stunde im Dorf.

In den 1980er-Jahren, als Radio- und Fernsehmoderatorin Mona Vetsch hier aufwuchs, war das noch nicht der Fall. «Der ÖV hatte für mich als Jugendliche deshalb keinerlei Bedeutung», sagt sie geradeheraus und fügt schmunzelnd an: «Der erste Schritt in die Freiheit war die Traktorenprüfung, die gleichzeitig als Töffli-Ausweis gültig war.»

Turbulenter als am Openair
Das hat sich radikal geändert. Heute wohnt Mona Vetsch mit ihrer Familie am Stadtrand von Zürich und ist täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Dank zahlreicher Dreharbeiten im Ausland – zum Beispiel für die Sendung «Auf und davon» – habe sie den ÖV in der Schweiz umso mehr schätzen gelernt: «Nach drei Wochen in indischen Zügen kannst du gar nicht fassen, wie viel Platz und Ordnung in unseren Bahnen ist. So turbulent wie auf dem Bahnhof in Mumbai ists bei uns nicht mal im Pulk vor einer Openair-Bühne.»

Ausflugtipp von Mona Vetsch

«Der Napoleonturm-Rundweg! Er führt vorbei an Hattenhausen, wo ich aufgewachsen bin, und an der Kirche Lipperswil, wo ich getauft wurde und geheiratet habe.»

Auffällig unauffällig
Früher habe sie im Zug oft ein Buch dabeigehabt, sagt Mona Vetsch. Heute nur noch das Smartphone – «leider». Sie nutze die ÖV-Fahrten häufig, um Mails zu beantworten. Gerade als bekannte Persönlichkeit ergäben sich aber auch viele interessante Gespräche und lustige Momente mit Mitreisenden. «Es ist übrigens viel angenehmer, direkt angesprochen zu werden, als wenn man auffällig unauffällig beobachtet wird», sagt sie augenzwinkernd.

Vom ÖV der Zukunft hat die 47-Jährige eine klare Vorstellung: «Statt Sitzplätze gibts Arbeitsplätze, mit WLAN und Ladestationen. Tickets gibts nicht mehr, man wird automatisch erfasst und bezahlt Ende Monat.» Und natürlich hoffe sie, dass sich die Barrierefreiheit weiter verbessert, «damit ich mit 77 auch mit meinem Rollator überall gut einsteigen kann.»

Abgründe des ÖV

2006 schrieb Mona Vetsch über die Abgründe es öffentlichen Verkehrs.

«Entspannt ruhen sie auf ihren Polstersitzen und Wartebänken, die öffentlich Verkehrenden, denn sie müssen sich nicht sorgen. Kein Stau, kein Stress, das immer gleiche Gleis und stets pünktlich am Ziel.

Aber Vorsicht. Der Boden des Vertrauten ist dünn, und darunter lauert das Schattenreich des Was- Wäre-Wenn. Zur immer gleichen Zeit am immer gleichen Ort fährt der Zug in die schwarze Höhle ein. Man denkt an Dürrenmatts Geschichte und fragt sich, was denn wäre, wenn der Tunnel nie enden würde.

Natürlich endet der Tunnel immer, aber diesem kleinen Moment der Unsicherheit, dem bleibt der Dahinsausende ausgeliefert. Man hat ja Zeit, um zu sinnieren; das ist das Schönste am öffentlichen Verkehr und auch das Allerschlimmste. Manch einer schaut hinaus ins Grüne und wird dabei ganz leicht und froh, andere sehen immer nur sich selber, in den Fenstern von Postautos und Bahnwagen, sehen sich alt werden und verwittern, auf der immer gleichen Strecke zwischen Felben und Frauenfeld.

Wenn der Zug langsamer wird und in den Bahnhof einfährt, fragen sie sich für Sekunden, was wohl geschähe, wenn sie einfach sitzen bleiben und erst an der nächsten Station aussteigen würden. Sie würden einen Kiosk sehen, ähnlich jenem, den sie kennen, nur steht er am falschen Ort, und es wartet auf sie kein Maxi-Puch, brav angekettet. Im Veloständer stehen nur die Mofas und Fahrräder von denen, die jeden Tag eine Station später aussteigen als sie, und das reicht schon, um sie zu Fremden zu machen.

Es wartet auch kein Postauto, um sie heimzubringen. Sie müssten daheim anrufen und sagen, ‹Bitte, kommt mich holen!›, und die daheim würden fragen, was um Himmels willen sie denn dort täten, auf dem fremden Bahnhof, und sie würden wahrscheinlich lügen und sagen, sie seien eingeschlafen.

Es wäre ja nicht auszudenken, was geschähe, wenn sie sagen würden: ‹Ich wollte einmal in meinem Leben wissen, wie es wäre, wenn ich einfach eine Station weiterführe...› Nein, darüber denken sie lieber nicht nach, die öffentlich Verkehrenden. Der Boden der Normalität ist dünner, als man meint. Nur eine Station weiter, und schon bricht man durch.

Mona Vetsch

 (Text: Cyrill Rüegger, Bild: SRF/Oscar Alessio)