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Plötzlich fühlte er sich vogelfrei

Michael Schaltegger fährt täglich mit dem Postauto von Lustdorf zu seiner Arbeitsstelle im Ekkharthof in Lengwil. Wegen seiner Beeinträchtigung durch Trisomie 21 musste er zuerst lernen, den ÖV richtig zu nutzen.

Beim Ekkharthof winkt Michael Schaltegger der Postauto-Fahrerin zum Abschied.

«Seit Michi selbstständig den ÖV nutzt, ist er viel erwachsener geworden», erzählt Margrit Schaltegger. Sie ist die Mutter des mittlerweile 34-jährigen Michael, der von Trisomie 21 – auch bekannt als Down-Syndrom – betroffen ist. Bis er 18 wurde, holte ihn ein Schulbus vom heimatlichen Bauernhof bei Lustdorf ab. «Danach ist man angehalten, die beeinträchtigten Jugendlichen auf den ÖV umzuschulen – und das war am Anfang gar nicht so einfach», erklärt Margrit Schaltegger. Auch das Personal sei mitunter überfordert gewesen und habe sich an den kontaktfreudigen Michael erst einmal gewöhnen müssen.

Er schafft es immer nach Hause
In der ersten Zeit fuhr ihn seine Mutter täglich nach Hüttlingen zum Bahnhof, wo er in den Zug nach Weinfelden stieg. Dort angekommen musste das Umsteigen auf das Postauto geübt werden. «Nach einer Woche begleitete ich ihn nicht mehr. Und Michi fühlte sich plötzlich vogelfrei und probierte aus, wohin er wohl käme, wenn er in Weinfelden statt ins Postauto in einen anderen Zug steigt. Aber irgendwie schaffte er es trotzdem jeden Abend nach Hause.»

Michael Schaltegger wartet beim Ekkharthof aufs Postauto.
Michael Schaltegger wartet beim Ekkharthof aufs Postauto.

Fahrer geben per Funk Bescheid
Auf Entdeckungstour geht Michael Schaltegger heute nicht mehr oft. Das Umsteigen bleibt aber eine Herausforderung. «Wir haben ihn instruiert, dass er sich dabei beeilt», sagt seine Mutter. «Zum Glück sind die Busfahrer heute mit Funk ausgerüstet. Manch einer gibt dann nach Weinfelden Bescheid, dass Michi noch mitgenommen werden muss.» Michael kann sich aufgrund seiner Beeinträchtigung nur schwer artikulieren, versteht aber fast alles. Seit kurzem benutzt er einen Tablet-Computer, um sich verständlich zu machen. Dort kann er Symbole antippen – zum Beispiel für «nach Hause».

Ausflugtipp von Michael Schaltegger

Die Fahrt mit der Linie 924 von Weinfelden zum Ekkharthof ist recht kurzweilig. Dort angekommen, kann man im Winter auf der Kunsteisfläche Schlittschuh laufen, im Hofladen einkaufen oder im Bistro mit schönster Aussicht Kaffee trinken.

Geldbeutel wiedergefunden
«Michi hat ein Gespür, wer hilft. Und hundert Schutzengel hat er auch», betont Margrit Schaltegger. Die braucht er gelegentlich, wenn er etwa den Geldbeutel mit dem SwissPass liegenlässt. «Oft sind es Mitfahrende, die ihn darauf aufmerksam machen. Oder der Chauffeur erkennt Michis Portemonnaie und teilt mir telefonisch mit, dass er es bei der Rückfahrt an der Haltestelle in Lustdorf deponiert.» Margrit Schaltegger ist dankbar für die freundliche Aufnahme, die ihr Sohn im ÖV täglich erlebt.


(Text: Inka Grabowsky, Bild: Raffael Soppelsa)