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Maschinen auf Schienen

Wenn es um den Gleisunterhalt geht, gehört ein Thurgauer Familienunternehmen zu den absoluten Vorreitern: Die Müller Frauenfeld Gruppe entwickelt Gleisbaumaschinen, die weltweit ihresgleichen suchen.

Aufgleiser: Mit spektakulären Maschinen erneuern Mario Tognetti und Stefan Müller die Fahrbahn.

Auf dem Gleis zwischen Ossingen und Seuzach sind an diesem Herbstnachmittag die grossen Maschinen aufgefahren. Ein schienentauglicher Bagger verbreitert gerade das Gleisbett. Den Aushub kippt er in einen gelben Containerwaggon mit integriertem Förderband.

Einige Hundert Meter weiter verteilt ein zweiter Bauzug den Feinschotter. «Dass wir hier am Tag arbeiten können, ist ein Glücksfall», erklärt Othmar Schuler. Er ist seit knapp vier Jahren Bauführer bei der Müller Gleisbau AG, dem Hauptunternehmen der Müller Frauenfeld Gruppe. In dieser Zeit hat er die Erfahrung gemacht, dass Gleisbauarbeiten fast ausschliesslich nachts stattfinden – dann, wenn keine Personenzüge verkehren.

Ein Bagger auf Schienen kippt den Aushub in einen Transportzug. Mittels Förderband wird die Erde gleichmässig auf die gelben Waggons verteilt.
Ein Bagger auf Schienen kippt den Aushub in einen Transportzug. Mittels Förderband wird die Erde gleichmässig auf die gelben Waggons verteilt.
Blick vom Waggon zum Bagger.
Blick vom Waggon zum Bagger.

Die grösste Herausforderung sei nicht einmal die ungewöhnliche Arbeitszeit, sondern das knappe Zeitbudget. Angesichts der immer stärker ausgebauten Fahrpläne stehen zwischen dem letzten und dem ersten Zug pro Nacht meist nur knapp vier Stunden zur Verfügung. Gefragt sind deshalb eingespielte Teams, effiziente Abläufe und ausgeklügelte Maschinen.

Ohne Muskelkraft geht es nicht
Viele Maschinen, die für den Gleisbau und -unterhalt zum Einsatz kommen, stellt die Müller Frauenfeld Gruppe selbst her. «Der Grund dafür ist einfach: Es gibt sie nicht ab Stange», ergänzt Othmar Schuler. Um an neuen Fahrzeugen zu tüfteln, hat das Unternehmen eine eigene Technikabteilung gegründet: Die Müller Technologie AG beschäftigt 55 Mitarbeitende, 24 davon in der Konstruktion und Produktion.

Die meisten Ideen kommen direkt von der Baustelle. So ist auch die erste schienentaugliche Schotterverteilmaschine der Welt entstanden: Über ein ausfahrbares Mini-Förderband kann der Schotter damit präzise ins Gleisbett geschüttet werden. «Unser Bauzug mit fünf Waggons fasst rund 350 Tonnen Schotter. Müssten wir diese Menge auf der Strasse heranschaffen, würden wir sehr viel Zeit verlieren und bräuchten zusätzlich einen Bagger für die Feinverteilung», sagt Schuler.

Mit der ersten schienentauglichen Schotterverteilmaschine können die Steine präzise platziert werden.
Mit der ersten schienentauglichen Schotterverteilmaschine können die Steine präzise platziert werden.
Mitarbeiter der Müller Gleisbau AG steuern die Ausschüttung der Schottersteine.
Mitarbeiter der Müller Gleisbau AG steuern die Ausschüttung der Schottersteine.
Beim Gleisbau ist das Zusammenspiel von Muskel- und Maschinenkraft gefragt.
Beim Gleisbau ist das Zusammenspiel von Muskel- und Maschinenkraft gefragt.

Ganz ohne Muskelkraft geht es allerdings nicht: So müssen beispielsweise die reptilienfreundlichen, grossen Gesteinsbrocken, die sogenannten Schroppen, am Rand des Gleisbetts einzeln von Hand aufgeschichtet werden. Eine Maschine gibt es dafür noch nicht. Der Technikabteilung dürften die Herausforderungen also auch in Zukunft nicht ausgehen. Die Produktion von Spezialfahrzeugen für die Schiene hat sich bei der Müller Frauenfeld Gruppe unterdessen zu einem eigenen Geschäftszweig entwickelt. Viele Fahrzeuge werden vermietet, einige sogar verkauft.

Beton ersetzt Holz und Stahl
In den letzten 50 Jahren sind generell immer mehr Tätigkeitsfelder hinzugekommen. Das Hauptunternehmen trägt zwar den «Gleisbau» im Namen, dieser macht heute aber nur noch einen kleinen Teil aus. Das habe auch damit zu tun, dass das Schienennetz der Schweiz nur noch punktuell ausgebaut werde, erklärt Mario Tognetti, der in der Geschäftsleitung der Müller Frauenfeld Gruppe für die Müller Gleisbau AG zuständig ist.

Bedeutender sei die Erneuerung von Streckenabschnitten – so wie in Ossingen. «Gleise haben eine Lebensdauer von 30 bis 60 Jahren, je nachdem, wie stark sie befahren werden.» In der Schweiz würden jährlich zwischen 200 und 250 Kilometer des Schienennetzes saniert oder erneuert – also gut vier Prozent.

Heute werden die alten Holz- oder Stahlschwellen, auf denen die Schienen befestigt sind, meist durch Betonkonstruktionen ersetzt (siehe grünen Kasten). «Durch den Wechsel von Holz auf Beton kann die Lebensdauer der Schwellen erhöht werden», sagt Tognetti. Für Betonkonstruktionen sind zusätzliche Arbeiten nötig: So müssen der Untergrund entwässert und ein festes Fundament aus Asphalt errichtet werden. Der sogenannte Gleistiefbau ist die Spezialdisziplin der Müller Gleisbau AG.

So sind die Gleise gebettet

Zur Fahrbahn gehört mehr als Schienen ,Schwellen und Schotter.

Aufbau des Gleisbetts.

1 Schienen
Die Schienen tragen das Gewicht des Zuges und führen ihn. Sie werden durch Walzen hergestellt: Geschmolzener Stahl wird – wie Teigwaren – in die gewünschte Form gepresst.

2 Schwellen
Die Schwellen halten die korrekte Spurweite der beiden Schienen dem ganzen Gleis entlang. Sie sind aus Holz, Stahl oder – immer häufiger – aus Beton und übertragen den vom Zuggewicht erzeugten Druck auf den Schotter. Die Schienen sind an den Schwellen fixiert.

3 Schotter
Die Schwellen liegen in einem Bett aus Bahnschotter. Der Schotter soll die Fahrbahn fixieren, indem er den riesigen Kräften der Schienen und Schwellen bei Temperaturveränderungen standhält. Auch überträgt er die vom Zuggewicht erzeugte Kraft auf den Boden.

4 Gleisunterbau
Als Gleisunterbau, der sich unter dem Schotter befindet, bezeichnet man eine undurchlässige Schicht auf einem kompakten Aggregatbett. Diese hat verschiedene Funktionen: Sie absorbiert die Last, die von den Zügen erzeugt und über den Schotter abgegeben wird. Zudem bildet sie eine undurchlässige Fläche gegen Wassereintritt, damit das Fundament nicht geschwächt wird. Und sie verhindert, dass Feinstaub vom Boden in den Schotter hochsteigt und ihn ungeschmeidiger werden lässt.

5 Entwässerung
Damit das Wasser gut abfliesst, ist der Unterbau leicht geneigt. Ausserdem ist er entlang dem Gleis mit einem Entwässerungssystem ausgestattet. Dadurch kann das gesammelte Wasser abgelassen werden.

Daneben ist das Unternehmen auch im Fahrleitungsbau und im Böschungsunterhalt tätig. «Ab 2023 werden wir dank der Kooperation mit einem grossen Schienenbauunternehmen alle Gleisbauarbeiten aus einer Hand anbieten können», betont Mario Tognetti.

Von der Nacht fasziniert
400 Mitarbeitende beschäftigt die Müller Frauenfeld Gruppe an fünf Standorten in der ganzen Schweiz. Der Hauptsitz befindet sich in Frauenfeld, unweit des Paketverteilzentrums der Post, wo Eugen Müller vor 51 Jahren den Grundstein gelegt hat. Heute führen dessen Enkel Stefan und Florian das Unternehmen.

«Wenn wir mit unserem Vater eine Gleisbaustelle in der Nacht besuchen durften, war das eine unglaubliche Freude », erinnert sich Stefan Müller. «Diese spezielle Stimmung in der Nacht, die vielen Hände, die perfekte Zusammenarbeit und die grossen Maschinen. Das fasziniert mich heute noch.» Und dies umso mehr, seit er die grösseren Zusammenhänge des Eisenbahnsystems kenne: «Es müssen extrem viele Zahnräder ineinandergreifen, damit die Kundinnen und Kunden pünktlich und sicher ans Ziel kommen.» Sein Unternehmen legt dafür buchstäblich die Grundlage.

(Text: Cyrill Rüegger, Bilder: Raffael Soppelsa)