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«Alle können sich äussern»

Wenn Bushaltestellen behindertengerecht saniert werden, sieht sich der Chef des kantonalen Tiefbauamtes Andy Heller im Clinch zwischen den Anpassungswünschen und der Realität vor Ort.

Treibt die behindertengerechte Sanierung der Bushaltestellen im Thurgau mit dem Tiefbauamt voran: Andy Heller.

Herr Heller, gemäss Gesetz müssen Ende 2023 alle Bushaltestellen hindernisfrei sein. Weshalb hinkt der Thurgau dem Zeitplan hinterher?
Lange war nicht klar, welche baulichen Massnahmen zu ergreifen sind. Die Umsetzung der erhöhten Haltekanten ist anspruchsvoll, und das Tiefbauamt will bei Sanierungen auch bestehende Sicherheitsdefizite an Fussgängerquerungen beheben. Um diese Ansprüche zu erfüllen, sind in der Regel öffentlich aufzulegende Bauprojekte notwendig. Dies erfordert umfangreiche Verhandlungen für den Landerwerb, viel Zeit und personelle Ressourcen. Zudem regt sich zum Teil Widerstand, weil bei hohen Fahrzeugfrequenzen der Verkehrsfluss an Fahrbahnhaltestellen beeinträchtigt werden kann.

Gibt es Ausnahmen? Welche?
Ja. Die Beseitigung der Benachteiligung wird nicht angeordnet, wenn der für Behinderte zu erwartende Nutzen in einem Missverhältnis steht zu Kosten, Umweltschutzinteressen und Verkehrs- sowie Betriebssicherheit. Das Gesetz sieht dafür eine Interessenabwägung vor.

Wie geschieht das?
Priorität haben bei uns vor allem Haltestellen mit hohen Frequenzen. Haltestellen, die bis Ende 2023 noch nicht saniert sein werden, weisen oft sehr geringe Frequenzen mit weniger als zehn Ein- und Aussteigenden pro Tag auf. Wenn eine Haltestelle an einer Strecke liegt, die in absehbarer Zeit sowieso saniert wird, versuchen wir dann, den gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.

Ist Ende 2023 mit einer Welle an Klagen zu rechnen, weil nicht alles saniert sein wird?
Ich gehe nicht davon aus, weil wir bis Ende dieses Jahr viele der wichtigsten Bushaltestellen hindernisfrei umgebaut haben. Bei den anderen wichtigen Haltstellen laufen bereits die Sanierungsplanungen.

Arbeitet das Tiefbauamt mit Betroffenen oder Interessenverbänden zusammen?
Ein Merkblatt der Schweizer Fachstelle für hindernisfreie Architektur und generelle Normen definieren die Anforderungen. In der Anfangsphase hatten wir eine Besprechung mit Pro Infirmis, der Fachorganisation für Menschen mit Behinderungen, um weitere Bedürfnisse der Betroffenen abzuholen. Die Projekte werden vor dem Bau öffentlich aufgelegt. So hat jede Person die Möglichkeit sich zu den Projekten zu äussern.

Bis wann werden alle 360 Haltestellen an Thurgauer Kantonsstrassen saniert sein?
Bei 30 bis 40 sanierten Haltestellen pro Jahr dürfte es 2030 werden.

Welche Rückmeldungen gibt es zu bestehenden hindernisfreien Haltestellen?
Wir erhalten durchwegs positive Rückmeldungen, wegen der hohen Haltekanten und weiteren Optimierungen wie Fussgängerschutzinseln oder Wartehäusern.

Woran arbeitet das Tiefbauamt zudem, um die Mobilität mit dem ÖV zu verbessern?
Wir pflegen den Austausch mit der Abteilung Öffentlicher Verkehr. Da kommen viele Themen aufs Tapet – zum Beispiel Fahrplanverlustzeiten, Busspuren, Lichtsignalanlagen mit Busbevorzugung über Funk, Knotenumgestaltungen oder flankierende Massnahmen. Massnahmen zur Verbesserung des ÖV sind auch in den Agglomerationsprogrammen enthalten. Wir prüfen diese laufend und setzen dort, wo Kantonsstrassen betroffen sind, möglichst viele davon um. Dieses Jahr wird unser bimodales Verkehrsmodell Thurgau in Betrieb genommen. Damit wird es unter anderem möglich sein, die verkehrlichen Auswirkungen von neuen ÖV-Linien zu simulieren und dadurch den zukünftigen Nutzen besser abschätzen zu können.

Können Sie abschliessend ein paar Beispiele nennen?
In Frauenfeld sind an der Zürcher- und Bahnhofstrasse Ost gleich mehrere verkehrlich flankierende Massnahmen auf Strecken und in Knotenbereichen geplant. Sie verbessern die Fahrplanstabilität des ÖV. In Romanshorn planen wir die Neuorganisation des Fährplatzes mit dem Ziel, verschiedene Abläufe wie die Zufahrt zur Fähre oder die Zollabfertigung zu optimieren. Aktuell rüsten wir zudem unsere Lichtsignalanlagen um, sodass die Anmeldung für die Busbevorzugung über Funk statt über Induktionsschleifen erfolgt. Dadurch verbessert sich die Flexibilität für die ÖV-Unternehmer, weil sich der Punkt für die An- und Abmeldung an der Lichtsignalanlage beliebig verschieben lässt.

Zur Person

Andy Heller führt das Tiefbauamt des Kantons Thurgau seit 20 Jahren mit dem Fokus auf Verkehrssicherheit, Lärmschutz und Werterhaltung des Strassennetzes. In dieser Zeit wurden etwa das Gesamtverkehrs- und das Langsamverkehrskonzept erarbeitet. Mit 61 Jahren wird er Ende März 2024 vorzeitig in Pension gehen.

(Interview: Cyrill Rüegger, Bild: Timo Kellenberger)