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«Günstige Tickets allein nützen nichts»

Helmut Eichhorn ist Geschäftsführer der Alliance SwissPass und damit oberster Tarifgestalter im ÖV. Im Interview spricht er über neue Abo-Modelle und erklärt, weshalb der Einfluss des Billettpreises überschätzt wird.

«Das ideale Billett passt sich dem Reiseverhalten der Kunden an»: Helmut Eichhorn.

Herr Eichhorn, mit dem kommenden Fahrplanwechsel wird das ÖV-Guthaben eingeführt. Was steckt dahinter?
Mit dem ÖV-Guthaben schliessen wir im Sortiment die Lücke zwischen Halbtax-Nutzenden und Inhabern eines Generalabonnements (GA). Reisenden, die ihr GA nicht voll ausschöpfen können, aber regelmässig unterwegs sind, bietet das ÖV-Guthaben eine attraktive Alternative. Es wird in drei Guthabengrössen und zwei Alterssegmenten erhältlich sein. Für Erwachsene wird es einen Rabatt von 20 bis 30 Prozent geben, für unter 25-Jährige einen von 40 bis 47,5 Prozent.

Ist das ÖV-Guthaben nur für die EasyRide-Funktion verwendbar oder können damit auch andere Billette – zum Beispiel Sparbillette – gekauft werden?
Mit dem ÖV-Guthaben können vielseitige Bedürfnisse abgedeckt werden; sowohl im Nationalen Direkten Verkehr als auch im Orts- und Agglomerationsverkehr. Hierzu werden wir bei der Produktlancierung informieren. So viel vorweg: Ja, es können damit auch Sparbillette gekauft werden.

Zwei junge Menschen öffnen die Tür eines Zuges.
Tür auf für die Zukunft: Weil die Reisenden den ÖV immer flexibler nutzen, werden auch die Billette und Abos flexibler.

Die Abos werden generell flexibler. Wie sieht in Ihren Augen das ideale Abo-Modell für den ÖV in der Schweiz aus?
Das ideale ÖV-Abonnement ist flexibel, einfach nutzbar und passt sich dem Reiseverhalten der Kundinnen und Kunden an. Die ÖV-Branche ist aktuell dabei, unter dem Projektnamen «myRIDE» ein alternatives Tarifmodell zu entwickeln, bei dem man sich nicht mehr zwischen Billett und Abo entscheiden muss. Ob ein solches Modell den Bedürfnissen entspricht, wollen wir demnächst in einem Feldtest evaluieren.

Gibt es weitere flexible Abo-Modelle, die Sie mit Interesse verfolgen? Welche?
In vielen Tarifverbünden wurden flexible Abo-Modelle eingeführt – oder stehen kurz vor der Einführung. Sie können beispielsweise an 100 frei wählbaren Tagen innerhalb eines Jahres genutzt werden. Das «FlexiAbo» trägt dem veränderten Mobilitätsverhalten der Pendlerinnen und Pendlern Rechnung, Stichwort Homeoffice.

Bei neuen Abo-Modellen entsteht oft der Eindruck, dass Menschen, die digital nicht so affin sind, auf der Strecke bleiben. Täuscht das?
Hier folgt die ÖV-Branche einem Trend, der sich in der ganzen Gesellschaft abzeichnet: Die Digitalisierung schreitet zügig voran. Mehr als 70 Prozent aller im Schweizer ÖV verkauften Fahrausweise werden heute bereits über digitale Kanäle bezogen. Gleichzeitig gibt es auch weiterhin Angebote wie beispielsweise Strecken- und Zonenbillette, die als Papierticket gekauft werden können.

Unsere Nachbarländer experimentieren mit Tiefpreis-Modellen: Sind solche auch für die Schweiz denkbar?
Beim Deutschland-Ticket, welches häufig als ‹49-Euro-Ticket› bezeichnet wird, handelt es sich primär um ein Angebot für Pendlerinnen und Pendler auf kürzeren Strecken, das stark von der deutschen Regierung subventioniert wird. Im Fernverkehr ist das Angebot nicht nutzbar. Ein solches Ticket würde in der Schweiz wegen der engmaschigen Abstimmung des ÖV-Systems nicht funktionieren. Zudem handelt es sich bei den monatlich zu zahlenden 49 Euro um einen Einführungspreis, teuerungsbedingte Erhöhungen sind explizit vorgesehen.

Tatsache ist, dass das GA teurer wird. Ein 2.-Klasse-GA kostet neu knapp 4000 Franken und damit fast viermal so viel wie das österreichische Klimaticket.
Das österreichische Klimaticket ist vom Gültigkeitsbereich her nicht mit dem schweizerischen GA vergleichbar, welches auf fast allen Strecken nutzbar ist. Darüber hinaus zeigen Kundenbefragungen, dass in der Schweiz der Einfluss des Preises auf die Verkehrsmittelwahl effektiv gering ist: Für die Reisenden sind Fahrzeit, Direktverbindung, Taktdichte und Zuverlässigkeit beziehungsweise ein attraktives ÖV-Angebot entscheidender. Was nützt ein möglichst günstiger ÖV, wenn der Bus nur einige Male pro Tag fährt oder in Randregionen gar kein Angebot besteht? In der Schweiz ist dieses Szenario nicht denkbar, im Ausland aber oft die Norm. Um das gute Angebot im öffentlichen Verkehr langfristig zu sichern, bedarf es einer stabilen Finanzierung, und dazu sind die Einnahmen aus Billett- und Abo-Verkäufen unverzichtbar.

Zur Person

Helmut Eichhorn ist seit Juli 2019 Geschäftsführer des ÖV-Branchenverbands Alliance SwissPass. Vorher war der studierte Historiker, Volkswirtschaftler und Verkehrsplaner unter anderem in der Geschäftsleitung der Verkehrsbetriebe des Kantons Freiburg tätig.

(Interview: Cyrill Rüegger, Bilder: Alliance SwissPass)