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Höhere Haltestellen, tiefere Hürden

Im Thurgau gibt es 613 Bushaltestellen. Damit alle sie problemlos nutzen können, werden sie vom Kanton und von den Gemeinden hindernisfrei umgestaltet. Das ist mit Herausforderungen verbunden.

Hindernisfreie Haltestellen erleichtern Anita Peter das Busfahren.

Das Postauto vor dem Ekkharthof in Lengwil hält an diesem Nachmittag länger als gewohnt. Konzentriert übt Anita Peter (68) mit ihrem Elektrorollstuhl, ins Fahrzeug zu gelangen. «Dank der umgebauten Haltestelle ist es zum Glück einfacher geworden», erklärt Lucas Böhler. Er ist Assistent der Geschäftsleitung des Ekkharthofs, wo mehr als 200 Menschen mit Beeinträchtigung leben, eine Ausbildung absolvieren oder arbeiten – so, wie Anita Peter.

Sie kommt täglich mit dem Postauto von Weinfelden hierher, um zu töpfern. Geduldig zeigt sie den anwesenden Fahrerinnen und Fahrern an diesem Nachmittag, wo beim Ein- und Aussteigen die Herausforderungen für Menschen im Rollstuhl liegen: «Im Rahmen solcher Übungen geht es darum, sich gegenseitig zu sensibilisieren. Immerhin fahren jeden Tag bis zu 50 Menschen mit dem Postauto zum Ekkharthof und wieder nach Hause», sagt Lucas Böhler.

Das Postauto hält vor der sanierten Bushaltestelle beim Ekkharthof.

Zwischenraum wird verkleinert
So wie die Haltestelle beim Ekkharthof sollten bis Ende 2023 eigentlich alle ÖV-Haltestellen in der Schweiz hindernisfrei saniert sein. Das schreibt das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) vor. Ein Blick auf die Bushaltestellen im Thurgau zeigt, dass dieses Ziel bei Weitem nicht erreicht wird. Von den 613 Bushaltestellen im Kanton seien bis Ende Jahr etwa 252 hindernisfrei, sagt Daniel Zollinger, Fachexperte bei der kantonalen Abteilung Öffentlicher Verkehr. Dennoch sei vielerorts eine lückenfreie Transportkette gewährleistet. So verlange es die präzisierende Botschaft zum BehiG gewissermassen als Mindestanforderung. Die sanierten Bushaltestellen befänden sich nämlich insbesondere an den Hauptverkehrsachsen und in urbanen Gebieten.

Anita Peter gelangt mit ihrem Elektrorollstuhl fast ebenerdig ins Fahrzeug.

Verantwortlich für die Sanierungen der Haltestellen sind jeweils die Strassenbesitzer: also Kanton und Gemeinden. Sandro Glarner ist als Projektleiter beim Tiefbauamt für die Sanierungen entlang der Kantonsstrassen zuständig. Das heisst: Er priorisiert die Haltestellen und plant die BehiG-Sanierungen zusammen mit Ingenieurbüros.

«Konkret werden die Wartebereiche so ausgebaut, dass sie eine Höhe von 22 Zentimetern gegenüber der Strasse aufweisen», erklärt Glarner. Als Randabschluss würden Sonderbordsteine eingebaut. Diese seien so konzipiert, dass der Bus sie mit den Reifen berühren kann, um mit den Türen möglichst nahe an den Wartebereich zu kommen. Dadurch werde der Spalt zwischen Haltekante und Türe verkleinert. Hierin liege aber auch eine der grossen Herausforderungen bei den Sanierungsarbeiten, betont Glarner: «Da der Bus den hohen Wartebereich mit dem Chassis nicht mehr überwischen kann, muss er parallel anfahren können. Dafür braucht es oftmals eine Anpassung der Strassengeometrie.»

«Alle können sich äussern»

Lesen Sie hier das Interview mit Andy Heller. Der Leiter Tiefbauamt des Kantons Thurgau erklärt, weshalb sich der Umbau der Bushaltestellen verzögert.

Haltestellen beruhigen den Verkehr
Sandro Nöthiger, Leiter Tiefbau der Stadt Kreuzlingen, kennt diese Schwierigkeiten: «Insbesondere in Quartieren mit beengten Verhältnissen gibt es Konflikte mit den vielen privaten Ein- und Ausfahrten, sodass einige Bushaltestellen verschoben werden müssen.» Kreuzlingen setze die Sanierungen deshalb gestaffelt um: «In einer ersten Phase wurden diejenigen Haltestellen saniert, die relativ einfach umgesetzt werden konnten. In einer zweiten Phase sind nun die Haltestellen an der Reihe, bei welchen ein Landerwerb beziehungsweise eine Planauflage erforderlich ist. Insbesondere bei anstehenden Gesamtsanierungen und Umgestaltungen haben wir bisher darauf verzichtet, die Haltestellen anzupassen, weil die Strassen in ein bis zwei Jahren ohnehin komplett saniert werden.»

Hin und wieder seien auch kreative Lösungen gefragt, sagt Nöthiger: Um die Landbeanspruchung möglichst gering zu halten, würden beispielsweise vermehrt Haltestellen geschaffen, die auf der Fahrbahn angeordnet sind. «Die Einengung dient dann gleichzeitig als Verkehrsberuhigung im Quartier.»

Umbau in Schlattingen: Die Haltekante wird erhöht.

Wenn es darum geht, Haltestellen zu verschieben oder zusammenzulegen, kommt Daniel Zollinger von der Abteilung ÖV ins Spiel. Auf Grundlage der Fahrgaststatistiken und der erwarteten Pendelströme koordiniert er mit den Strassenbesitzern die optimalen Standorte der Haltestellen. Das werfe weitere Fragen auf: «Wir müssen uns überlegen, ob die Linienführung in ein paar Jahren noch aktuell ist. Ansonsten wird möglicherweise viel Geld ausgegeben für die Sanierung einer Haltestelle, die demnächst gar nicht mehr nachgefragt und deshalb aufgehoben wird.»

Mehr Sicherheit, neue Veloabstellplätze
Übrigens: In vielen Fällen beschränkt sich die Sanierung der Bushaltestellen nicht auf die Erhöhung der Gehsteige. Allfällige Sicherheitsdefizite werden mancherorts beispielsweise durch zusätzliche Fussgängerschutzinseln behoben. Im Einklang mit dem Konzept ‹Kombinierte Mobilität› des Kantons Thurgau sollen Bushaltestellen zudem vermehrt mit Veloabstellplätzen ausgestattet werden. Das könne gerade in ländlichen Regionen interessant sein, wo die nächste Bushaltestelle nicht immer um die Ecke liege, erklärt Daniel Zollinger. Anhand einiger Pilothaltestellen soll das Potenzial solcher ‹Bike&Ride›-Angebote in den nächsten Jahren überprüft werden (mehr dazu erfahren). Der Fokus liege aber darauf, die bestehenden Hindernisse abzubauen.

Sanierte Bushaltestellen

Das ändert sich für...

... Personen mit Mobilitätseinschränkung
– Menschen im Rollstuhl können den Bus im Idealfall ohne fremde Hilfe nutzen. Bislang brauchten sie dafür in jedem Fall eine Klapprampe oder Unterstützung von Mitreisenden.
– Kommt dennoch eine Rampe zum Einsatz, ist diese viel weniger steil als bislang.
– Für Leute mit Kinderwagen, schweren Koffern, Rollatoren oder Stöcken erleichtert sich der Zustieg ebenfalls.

… Personen ohne Mobilitätseinschränkung
– Der Komfort wird erhöht.
– Der leichtere Ein- und Ausstieg beschleunigt den Fahrgastwechsel und verkürzt die Haltezeit der Busse.
– Teils fehlende Wartebereiche werden durch gut erreichbare, gesicherte Wartebereiche ersetzt.
– An manchen Haltestellen werden zusätzlich Wartehäuser und Schutzinseln ergänzt.

… Busfahrerinnen und Busfahrer
– Die Anfahrt wird komplexer: Die hohe Haltekante muss möglichst nahe und zudem parallel angefahren werden, weil sie nicht mehr mit dem Chassis überwischt werden kann. 

(Text: Cyrill Rüegger, Bilder: Patrick Itten / Timon Peyer)